
Burnout jenseits der gängigen Definitionen
Der Mediziner Fritz Helmut Hemmerich weicht schon bei der begrifflichen Erklärung des Burnout von einer isolierten Betrachtungsweise und der meistverbreiteten Definition ab. Für ihn ist Burnout keine eigenständige Erkrankung. Nicht zu verwechseln mit einem psychovegetativen Erschöpfungszustand, beschreibt er Burnout vielmehr als die Unfähigkeit, vorhandene Kraft in effiziente Energie umzuwandeln.
Seine Definition stützt er auf Erkenntnisse aus Biochemie, Soziologie und Philosophie. Dies verdeutlicht er durch Einführungen in Epigenetik, Physik, Stoffwechselprozesse, Nervenzellen und verschiedene Neurotransmitter. Hirnstrukturen illustriert er mit farbigen Abbildungen und konfrontiert den Leser unter anderem mit Synapsen und der Anafonesis.
Von Gleichgewicht bis Schlafqualität
Bis ins kleinste Detail geht Hemmerich auf die Bedeutung unseres Gleichgewichtsorgans sowie die Funktionsweise des Ohres ein. Auch die Wirkungsweisen von Medikamenten beschreibt er, wobei er grundsätzlich eine Therapie ohne Psychopharmaka bevorzugt.
Er weist auf eine verschlechterte Schlafqualität als Symptom hin, stellt praktische Trainingsübungen vor und betont die Rolle von Emotionen sowie unsere Wahrnehmung von Wirklichkeit. Die Erholungsqualität eines Urlaubs wird seiner Einschätzung nach überschätzt, während die regenerierende Wirkung kurzer Pausen unterschätzt wird.
Lernen durch Erfahrung – ein Schutz vor Burnout
Anhand des Beispiels eines Skaters, der das Fallen und Wiederaufstehen verinnerlicht hat, zeigt Hemmerich, wie frühzeitig eine Disposition für Burnout vermieden werden kann. Übervorsichtige Eltern, die ihren Kindern wichtige Erfahrungen vorenthalten, ebnen nach seiner Ansicht den Weg in ein Burnout. Gleiches gilt für Menschen, die sich dauerhaft vorrangig um das Wohlergehen anderer bemühen – eine Haltung, die auf Dauer nicht durchzuhalten ist.
Kritik an gängigen Therapien
In seinem Buch Wendepunkt Burnout* kritisiert Hemmerich die üblichen symptombezogenen Therapien bei isoliert betrachteten Diagnosen. An vielen Stellen übt er vorsichtige Kritik am aktuellen medizinischen Wissensstand. Da er zum besseren Verständnis weit ausholt und zahlreiche Randgebiete berührt, erschließt sich der Zusammenhang zum Thema nicht immer sofort. Dennoch wirft er Fragen auf, die zum Nachdenken anregen.
Zwischen Alltag und Wissenschaft
Hemmerich liefert einerseits bildhafte, leicht nachvollziehbare Vergleiche aus dem Alltag, präsentiert andererseits aber ein hochwissenschaftliches Werk, das vor allem einer fachkundigen Leserschaft empfohlen werden kann. Obwohl er selbst von einer „Überblicksarbeit“ spricht, führt er im Literaturverzeichnis über fünfhundert Titel an – ein deutlicher Hinweis auf die wissenschaftliche Tiefe seiner Arbeit.
Dass er den Klinikalltag aus dem von ihm geleiteten Zentrum auf Teneriffa einfließen lässt, zeigt sich, wenn er von der Ich- zur Wir-Form wechselt und damit seine Ärztekollegen einbezieht.
Ein Buch für Betroffene und Experten
Die mit zahlreichen Zitaten und einem Stichwortverzeichnis versehene Anleitung Wendepunkt Burnout* sollten Betroffene und deren Angehörige zumindest versuchen zu verstehen. Selbst wenn schwierige Passagen übersprungen werden, bleibt das Wesentliche hängen. Angehörigen wird klar, dass sie Menschen in einer Burnout-Krise allein durch rücksichtsloses Zuhören unterstützen können. Experten wiederum können aus dem Buch neue Denkanstöße ziehen.
Wendepunkt Burnout von Fritz Helmut Hemmerich

MaroVerlag 2011
Hardcover
400 Seiten
ISBN 978-3-87512-452-1

