Im November 2017 ereilt den Journalisten Jens Brambusch ein Burnout, er hat mit Angstzuständen zu kämpfen und verlässt kaum noch das Haus. Als er von Menschen hört, die seit Jahren um die Welt segeln, weckt das sein Interesse, zumal ihm das Meer seit Kindheitstagen vertraut ist und er bereits mit sechzehn Jahren einen Segelschein gemacht hat. Der Mittvierziger fürchtet, das Rentenalter nicht mehr zu erreichen, wenn er sich weiter im Hamsterrad dreht und fasst den Entschluss, den Therapeuten gegen das Meer zu tauschen. Er kündigt seinen Job bei einem Wirtschaftsmagazin, in seine als Altersvorsorge gedachte Wohnung in Berlin zieht ein Freund ein und in der Türkei erwirbt er eine dreißig Jahre alte Moody 425 mit dem Namen Dilly-Dally.
Jens Brambusch entscheidet sich bewusst für die Türkei und die Marina von Kaş als Heimathafen, obwohl gerade ihm als Journalist die dortigen Missstände, auf die er auch ausführlich in seinem Sachbuch Tausche Büro gegen Boot* eingeht, bewusst sind. Er schreibt von Behördengängen wie der Beantragung einer türkischen Aufenthaltsgenehmigung, dem ersten Weihnachtsfest auf seiner Dilly-Dally mit Freunden sowie weiteren Ausflügen. Immer wieder stellt er neue Berechnungen seines Budgets an, das er mit dem Schreiben einiger Artikel aufbessern kann, da ihm sein Boot gleichzeitig auch als Büro dient. Schließlich vereitelt die Covid-19-Pandemie einen geplanten Törn, denn auch die Türkei verhängt rigoros die Freiheit einschränkende Maßnahmen.
Jedem Kapitel sind Worterklärungen aus der Schifffahrt, insbesondere zum Segeln vorangesetzt. Der Text vermittelt eine Menge Wissenswertes, beispielsweise was die Qualität eines Segeltuches anbelangt, wie es hergestellt wird und was es dabei zu bedenken gilt. Aktuelle Geschehnisse vermischt der Autor mit Kindheitserinnerungen und da er sich für die Türkei als seine Wahlheimat entschieden hat, klärt er über zahlreiche im Land anfallenden Kosten wie eine Krankenversicherung auf. Er räumt eigene Fehler ein, die zu vermeidbaren Pannen geführt haben, schreibt von Mythen und Aberglauben Katzen und Hunde betreffend und verhehlt nicht, dass es für seine an Bord aufgenommenen Freunde ungewohnt war, mit Wasser sparsam umzugehen, dass sie die Enge und fehlenden Rückzugsmöglichkeiten nicht gewohnt waren und auf jeglichen gewohnten Luxus verzichten mussten. Ausdrücklich betont er, dass einer wie er, der ausstieg, um segeln zu gehen, keinen Urlaub macht, auf Konsum verzichten und mit dem Geld haushalten muss.
Wie Jens Brambusch in seinem Sachbuch Tausche Büro gegen Boot* schreibt, hatte er als Journalist, der in der ganzen Welt recherchieren durfte, eigentlich einen Traumjob gehabt. Doch auch nach drei Jahren auf seinem Boot hat er zu keinem Zeitpunkt seinen Entschluss bereut und genießt immer wieder, trotz immerwährender Arbeit, die Ruhe auf seiner Dilly-Dally, die ein permanentes Upgrade benötigt. Durch seinen lockeren Schreibstil, seine mitunter recht sarkastischen Bemerkungen und seinem bissigen Humor erreicht er seine Leser immer wieder aufs Neue, wenn er zum Beispiel vom Ärger mit deutschen Behörden berichtet. Seine diesbezüglichen Erfahrungen wären zum Lachen, wenn sie nicht so traurig wären. Einen Lachkrampf kann der Leser kaum unterdrücken, wenn es um die nicht zu toppenden Ausführungen zum Motorradführerschein geht. Wie von einem Investigativreporter nicht anders zu erwarten, haben eine Menge kritische Töne zu Wirtschaft und Politik Einzug in den höchst unterhaltsamen Plot gehalten. Langeweile? Fehlanzeige! Für das Jahr 2022 wollte Jens Brambusch die Karibik ansteuern. Vielleicht dürfen sich seine Leser auf eine Fortsetzung seiner Erfahrungen und Erlebnisse freuen?
Tausche Büro gegen Boot von Jens Brambusch
DuMont Reiseverlag 2022
Klappenbroschur
288 Seiten
ISBN 978-3-7701-9191-8