Mit vierundzwanzig Jahren tritt Camilla eine Stelle bei der renommiertesten Werbeagentur in Vicenza an. Als sie ihrem Chef Paolo zum ersten Mal begegnet, ist sie von seiner Erscheinung fasziniert und dem Duft seines Parfüms verfallen. Sie kann den Avancen des Frauenhelden nicht widerstehen und wird die Geliebte des fast fünfzigjährigen Familienvaters. Vorgeschobene Kundenbesuche müssen für die teilweise nur wenige Stunden dauernden oder auch schon mal übers Wochenende gehenden Treffen in Gästezimmern oder Häusern von Freunden herhalten. Allerdings unter dem Vorbehalt, dass es keine Versprechen gibt!
Den Freunden und besonders der Mutter von Camilla fallen die Veränderungen an ihr auf. Als Camilla schließlich zugibt, ein Verhältnis mit ihrem Chef zu haben, ist sie über die Reaktion ihrer Familie erstaunt, die ihr lediglich zu Entspanntheit und Geschmeidigkeit rät und auch, keine zu hohen Erwartungen daran zu knüpfen, denn, so wird sie belehrt, ein Seitensprung ist für einen Italiener völlig normal. Die Befürchtungen ihrer Freundin Nicoletta, sie könne eines Tages am Boden zerstört sein, schlägt Camilla in den Wind, bis sie sich selbst eingestehen muss, dass Paolo nichts mehr an ihr liegt. Glücklicherweise trifft die bitter Enttäuschte auf der Hochzeit ihrer Freundin Alicia auf ihren späteren Ehemann Gianni. Das Paar lebt glücklich mit den Kindern Matteo und Sophia zusammen, bis Camilla eine grenzenlose Eifersucht nach einem Wiedersehen mit Paolo befällt. Ihre krankhaften Einbildungen und Unterstellungen, ihr Mann würde sie betrügen, münden in einer Abwärtsspirale. Sie zieht nach München zu einer Freundin aus Grundschultagen und will ein neues Leben beginnen.
In ausschweifenden Erzählungen über Familienmitglieder oder Freunde lässt Brigitte Beil ihre Protagonistin Camilla in dem Roman „So friedlich, das Meer“ von ihrem Leben berichten, wobei sich die Autorin immer wieder Nebenschauplätzen widmet, die eine eigene Geschichte abgeben. Der auf hohem, literarischem Niveau gehaltene Roman gehört deshalb nicht zu der Sorte, die der Leser kaum aus der Hand legen kann. Vielmehr lässt er die Stimmungen und das Geschehen auf sich wirken, erahnt die Dominanz einer italienischen „Mamma“ und schmeckt förmlich die vielen aufgezählten köstlichen Speisen auf der eigenen Zunge. Sehr schön hat Brigitte Beil die veränderte Sichtweise einer Frau herausgearbeitet, die erst ohne schlechtes Gewissen die Geliebte eines verheirateten Mannes ist und später als eifersüchtige Ehefrau auf der anderen Seite steht.
Der Roman „So friedlich, das Meer“ beginnt mit der sich anbahnende Liebschaft und deren Ende, um dann einen Zeitsprung von fünf Jahren zu machen, der Camilla als glückliche Ehefrau und Mutter zweier Kinder zeigt. Die Gefühle ihres Mannes Gianni werden nicht thematisiert, da lediglich die Sichtweise von Camilla beleuchtet wird. An einigen Stellen darf sich der Leser bei dem im flüssigen Schreibstil gehaltenen Roman auf amüsante Einlagen freuen, wenn beispielsweise von einem eingebauten Kugelgelenk in der Taille die Rede ist, die Müttern ein schnelleres Umdrehen zu ihren Kindern erlauben würde. Wie sich Camilla dem Werben ihres Chefs nicht entziehen konnte, so kann sich der Leser dem Zauber dieses Buches kaum entziehen. Am Ende wartet Brigitte Beil noch mit etwas völlig Unvorhersehbarem auf, das dem Leser das Blut in den Adern gefrieren lässt. Doch das Meer bleibt ruhig, als wäre nichts gewesen, es bleibt „So friedlich, das Meer“.
So friedlich, das Meer von Brigitte Beil
btb Verlag 2015
Taschenbuch
352 Seiten
ISBN 978-3-442-74727-6