Singe ich, tanzen die Berge von Irene Solà

Singe ich, tanzen die BergeDomènec lebt mit seiner Frau Sió, den beiden Kindern Hilari und Mia sowie seinem Vater Ton auf dem Bauernhof Matavaques in einem von Bergen umgebenden Tal in den Pyrenäen. Als er das Haus bei einem Gewitter verlässt, weil er nur fernab von Babygeschrei dichten kann und zudem nach den Kühen sehen will, wird er von einem Blitz tödlich getroffen. Das Unglück wird von den Frauen Joana, Eulàlia, Dolceta und Margarida beobachtet. Siò lebt fortan alleine mit ihren Kindern, das Jüngste erst zwei Monate alt, und Großvater Ton auf dem Matavaques. Nachdem sie bereits den Tod ihres Ehemannes verkraften musste, wird einige Jahre später auch ihr Sohn Hilari als 20-jähriger bei einem Jagdunfall von seinem Freund Jaume versehentlich erschossen. Daraufhin muss Jaume für fünf Jahre ins Gefängnis. Er kehrt nach seiner Haft nie mehr in das Dorf zurück, obwohl er Mia liebt und sie ein Paar waren. Doch glaubt er, Mia kann ihm niemals verzeihen, dass er ihren Bruder erschossen hat.

Einige Jahre, nachdem Mias Großvater Ton und auch ihre Mutter Siò bereits verstorben sind, lebt sie verbittert und allein mit ihrem Hund Lluna auf Matavaques. Sie betreibt inzwischen die Metzgerei im Dorf, in der sie schon als Mädchen gearbeitet hat. Eines Tages lernt sie den wesentlich jüngeren Oriol kennen, der mit seiner Mutter aus Barcelona in die Berge gekommen ist und ein benachbartes Haus gemietet hat, um Ruhe zu finden. Auch er ist vom Schicksal gezeichnet, denn zwei Einbrecher haben ihm eine Kugel durch den Kopf geschossen, woraufhin er auf einem Auge erblindete und seitdem das linke Bein nachzieht. Er ist von Mia fasziniert, obwohl sie seine Mutter sein könnte. Bei regelmäßigen Treffen entwickelt sich ein Verhältnis der beiden. Jaume, der im Gefängnis kochen gelernt hat, arbeitet in einem anderen Dorf als Koch in einer Bar. Als er eines Nachts auf dem Nachhauseweg ein Reh überfährt, treibt es ihn nach fünfundzwanzig Jahren zurück zu Mia.

Diese banale Handlung hätte allenfalls für einen Heimatroman gereicht, doch hat Irene Solà mit „Singe ich, tanzen die Berge“ einen in jeder Hinsicht ungewöhnlichen Roman geschrieben. Gleich zu Beginn ist der Leser verstört, wenn die Wolken in der Wir-Form berichten, wie sie es regnen oder „in diesem Moment…den zweiten Blitz niederfahren“ lassen, der Domènec tötet. In einem anderen Kapitel erzählt ein Reh von seiner und der Geburt seines Bruders. Erst im weiteren Verlauf der Geschichte wird deutlich, dass es sich um das Reh handelt, das den Jagdunfall verursacht hat, der zum Tod von Hilari führte. Dieser wiederum kommt in einem weiteren Kapitel zu Wort. Er ist, wie sein Vater, ein Bauer und Dichter, der seine Werke nicht aufschreibt, sondern sie manchmal singend zu Gehör bringt. In einem seiner Gedichte heißt es in der letzten Zeile: „Singe ich, tanzen die Berge.“

Die vier Frauen, die gesehen haben, wie Domènec vom Blitz getroffen wurde, leben in einer Höhle im Wald. Ihre Äußerungen wirken allerdings für den Leser sehr befremdlich. So spricht eine von ihnen von einem Baum, „an dem sie uns erhängt haben“, und zwei Seiten weiter heißt es, dass Margarida immer weint, wenn sie an die „glühenden Eisen“ denkt, die „Streckbank und die Gewichte an den Füßen und das rote Blut“. Es entsteht der Eindruck, dass es sich nicht um real existierende Personen handelt, sondern eher um mystische Wesen.

Nicht jeder Leser wird leicht Zugang zu Irene Solàs Roman „Singe ich, tanzen die Berge“ finden, denn die Autorin lässt nicht nur Wolken, Berge und Tiere zu Wort kommen, sondern auch bereits verstorbene Handlungspersonen, die als eine Art Geisterwesen weiterhin in den Bergen wohnen. Die eigentliche Rahmenhandlung wird von surrealen Kapiteln unterbrochen, die an Legenden, Sagen oder Fabeln erinnern. Dabei ist nicht immer gleich klar, in welchem Zusammenhang der jeweilige Text zur Handlung steht. Für ihren Roman wurde die Autorin vielfach ausgezeichnet, doch wird sich vielen Lesern kaum ein tieferer Sinn aus dem ungewöhnlichen Plot erschließen.

Singe ich, tanzen die Berge von Irene Solà

Singe ich, tanzen die Berge
Übersetzung von Petra Zickmann
Trabanten Verlag 2022
Hardcover
208 Seiten
ISBN 978-3-98697-000-0

Bildquelle: Trabanten Verlag
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