Mein Jahr auf Hartz IV
Nach seinem Philosophiestudium kann Mahler, wie viele junge Geisteswissenschaftler, keine reguläre Arbeit finden. Ein nur gering bezahltes Praktikum kann er sich finanziell nicht leisten und eine Promotion würde seinen beruflichen Showdown nur um ein paar Jahre hinauszögern. So schlägt er sich als Barmann in einem Neuköllner Biergarten durch. Doch bringt ihm der Job nicht viel mehr als die Beiträge zu seiner Krankenversicherung und eine Niedriglohnfrustration ein. Er kündigt sein befristetes Arbeitsverhältnis und reiht sich in die Schlange beim Arbeitsamt ein, um einen Antrag auf Arbeitslosengeld II zu stellen.
Als Akademiker mit einem abgeschlossenen Studium zählt er sich nicht zu den gewöhnlichen Arbeitslosen, denn Hartz IV soll für ihn nur eine kurze Episode sein, eine kurzzeitige finanzielle Überbrückung. Doch nach einigen Wochen hat er sich in seinem neuen Leben eingerichtet. Die Motivation weitere Bewerbungen zu schreiben wird immer geringer und Mahler fällt in eine Lethargie, aus der ihn auch ein unsinniges Bewerbungstraining nicht befreien kann. Mit einem Ein-Euro-Job bei einem gemeinnützigen Verein soll er für den regulären Arbeitsmarkt fit gemacht werden, da aber niemand an einen Sinn der Maßnahme glaubt, erwarten ihn auch keine Repressionen, als er sie vorzeitig abbricht. Nach einem Jahr Arbeitslosigkeit meldet sich unerwartet eine Zeitarbeitsfirma, die ihn befristet und gegen schlechte Bezahlung für ein Projekt einsetzt, bei dem er die Namen in Testbögen abgleicht…
In seinem Erfahrungsbericht „In der Schlange“ erzählt Thomas Mahler auf unterhaltsame und bewegende Weise von seinen Erlebnissen als Hartz IV-Empfänger. Sehr anschaulich schildert er die Veränderungen und das schwindende Selbstwertgefühl eines Menschen, der auf die Hilfe vom Staat angewiesen ist. Wobei er das Klischee, die Leistungsempfänger würden sich nicht um einen Job bemühen und sich lieber mit Schwarzarbeit ein flottes Leben machen, bestens bedient. In einigen Abschnitten fühlt der Leser sich in eine Geschichte über die Schildbürger versetzt, wenn der Autor zum Beispiel über eine Arbeitsgelegenheit mit 1,50 Euro Vergütung berichtet, für die er letztendlich 180 Euro im Monat erhält und dafür nicht einmal eine Stunde Zeit aufbringen muss. Wer glaubt, die Personen in Mahlers Buch wären einer Satire entsprungen, der irrt gewaltig, denn der Autor schildert Situationen des Hartz IV-Alltags, wie sie Arbeitslose in den Jobcentern und bei Bildungsträgern täglich erleben. So ist Thomas Mahlers Buch „In der Schlange“ auch eine Anklage gegen eine Gesellschaft, die schwachsinnige Maßnahmen für Arbeitslose nicht nur zum System gemacht hat, sondern zu einem Wirtschaftszweig, der die tatsächlichen Arbeitslosenzahlen verschleiern soll.
In der Schlange von Thomas Mahler
Goldmann Verlag 2011
Hardcover mit Schutzumschlag
256 Seiten
ISBN 978-3-442-31246-7