Friss oder stirb von Barbara Rieger

Friss oder stirb„Essstörungen“, so ist auf der Webseite des Bundesministeriums für Gesundheit zu lesen, „gehören zu den häufigsten chronischen psychischen Störungen im Erwachsenenalter.“ In dem Roman „Friss oder stirb“ hat Barbara Rieger das Leben einer Frau mit Essstörungen über einen Zeitraum von dreiundzwanzig Jahren nachgezeichnet. Ihre Protagonistin Anna sitzt mit siebenunddreißig Jahren bei einer Therapeutin, mit der sie die Ursachen ihrer Störungen ergründen will. Zwecks Erinnerung blättert sie in ihren umfangreichen Tagebuchaufzeichnungen:

Mit vierzehn Jahren besucht Anna das Gymnasium. Sie wohnt mit ihrer Mutter und ihrem Stiefvater Heinz zusammen. Ihren leiblichen Vater kennt sie nicht. Vom wenigen Essen ist ihr häufig schwindelig, was andere jedoch auf ihr Wachstum oder den Kreislauf zurückführen. Mit ihrer besten Freundin Petra, Edi und Kurt probiert sie ihren ersten Joint. Ihre Mutter verbietet Anna, mit Kurt, den sie liebt, zu schlafen, was sie jedoch missachtet. Sie interessiert sich zunehmend für Diättipps und hält sich für übergewichtig, will unbedingt abnehmen. Als sie fünfzehn Jahre alt ist, hat sie Angst um Kurt, der sein Leben „scheiße“ findet und nur noch ihretwegen am Leben bleiben will. Ihre Mutter geht mit ihr zum Arzt, denn die Schulnoten werden immer schlechter.

Mit sechzehn Jahren geht Anna für ein halbes Jahr auf die High School nach Kalifornien, wo sie vor Langeweile umkommt und zu viel isst. Mit Unmengen Schokolade betäubt sie sich und stopft alles wahllos in sich hinein, bis ihr schlecht wird und sie sich übergeben muss. Um abzunehmen, betreibt sie Sport. Trotzdem: Sie „frisst, bis alles in ihr stirbt, bis sie nichts mehr fühlt“. Mittlerweile ist Anna neunzehn Jahre alt und studiert. Auf vier normale Tage folgen vier Fresstage. Endlich entschließt sie sich, an ihrem neuen Wohnort in Wien eine Therapeutin aufzusuchen und hofft, den Teufelskreis eines Tages durchbrechen zu können.

Das Verhältnis zwischen Anna und ihrer Mutter ist gestört. Seit ihrer Pubertät fühlt sich Anna von ihr unverstanden. Die Mutter antwortet ihrer Tochter, während sie emotionslos ihrer Hausarbeit nachgeht und kaum aufblickt. Es dauert lange, bis Anna auf die Frage nach ihrem biologischen Vater eine Antwort bekommt. Was die Auswahl ihrer Geschlechtspartner anbelangt, beschränkt sich Anna nicht nur auf Paul, Max, Kurt, Edi oder Axel, zu denen sie ein recht ambivalentes Verhältnis hat. So „treibt“ sie es auch mit einem Unbekannten zwischen den Sitzreihen im Kino oder mit einem weiteren Fremden, was die „Pille danach“ und einen Aidstest als Konsequenz nach sich zieht.

Mit der Zeit kristallisiert sich für den Leser in dem Roman „Friss oder stirb“ heraus, dass die ausgeschriebenen Zahlen in den Überschriften das Alter der Protagonistin widerspiegeln. Indem sich Barbara Rieger in den Sätzen auf das Wesentliche beschränkt, wirkt der Handlungsverlauf gehetzt, ohne zeitliche Übergänge und schnelle Szenenwechsel geradezu wie abgehackt, was allerdings in diesem Fall ein stilistisches Mittel ist und die Dramatik unterstreicht. So kann im selben Satz Anna zu jemandem sprechen und gleichzeitig schreibt sie in ihr Tagebuch. In einem anderen Satz verschmelzen die an sie gerichteten Worte ihrer Mutter mit denen, die sie selbst an ihre Therapeutin richtet. Barbara Rieger zeichnet in ihrem Buch auf eindrucksvolle und eindringliche Weise ein Porträt einer an Essstörungen leidenden Frau, das von Anfang an das Interesse auf den weiteren Handlungsverlauf weckt.

Friss oder stirb von Barbara Rieger

Friss oder stirb
Verlag Kremayr & Scheriau 2020
Hardcover mit Schutzumschlag
224 Seiten
ISBN 978-3-218-01228-7

Bildquelle: Verlag Kremayr & Scheriau
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