Die Nachbarin von Caroline Corcoran

Die NachbarinHarriet und Lexie, beide Anfang dreißig, wohnen Wand an Wand in einem riesigen, modernen Wohnblock. Harriet, deren Verlobter Luke sie verlassen hat, komponiert Musicals und feiert bis in die frühen Morgenstunden eine wilde Party nach der anderen. Sie hört, wie ihre Nachbarin Sex hat und beneidet sie um ihr Liebesglück. Für Lexie, die ihren Beruf als Journalistin aufgegeben hat und lediglich vereinzelt Texte schreibt, zählt nur noch ein Baby zu bekommen. Für sie und ihren Freund Tom, der fürs Fernsehen Dokus dreht, gibt es kein anderes Thema mehr und ihre Tagesabläufe richten sich nach ihrem Zyklus. Lexie wiederum ist neidisch auf das scheinbar glückliche Leben der attraktiven Harriet, die sie in der Wohnung nebenan singen und Klavier spielen hört.

Als Lexie ihre Freundin Anais zu Besuch hat, lauscht Harriet an der Wand, um Gesprächsfetzen aufzuschnappen. Sie hört die beiden Frauen lachen und wie die sich offensichtlich über sie lustig machen. Harriet ist neugierig und informiert sich im Internet über Lexie und deren Freund Tom, der zu allem Überfluss auch noch ihrem Ex-Verlobten Luke ähnelt. Zunehmend missgönnt Harriet ihrer Nachbarin das Leben an Toms Seite, und sie kann das glückliche Paar nicht mehr ertragen. Unterdessen leidet Lexie jeden Monat aufs Neue darunter nicht schwanger zu werden, was sie immer gereizter werden lässt. Wenn sie deshalb mit Tom in Streit gerät, registriert Harriet das mit Schadenfreude, und schließlich ist sie davon überzeugt, dass ihr „Die Nachbarin“ ihr Leben stiehlt: Tom gehört eigentlich zu ihr, und so reift in ihr ein perfider Plan.

Caroline Corcoran lässt beide Frauen wechselseitig in der Ich-Form berichten. In Lexies Leben dreht sich alles um das Baby, das sie unbedingt haben will. Sie erzählt von den gemeinsamen Jahren mit Tom, erträgt schwangere Frauen nicht und macht sich in krankhafter Manier übertriebene Sorgen, wenn sie ihren Freund auf einer beruflichen Reise nach Schweden begleitet, weil er womöglich zum Zeitpunkt ihrer Ovulation keine Zeit für sie hat. Harriet beschreibt in ausführlicher Form ihre zerbrochene Beziehung zu Luke, wie er sie zunächst nach London geholt hat und dann ganz plötzlich fallen ließ, obwohl er davon sprach, mit ihr eine Familie gründen zu wollen.

Abgesehen davon, dass es ungewöhnlich ist, wenn jemand seine Nachbarin ständig mit dem Vornamen erwähnt, obwohl er noch nie ein Wort mit ihr gesprochen hat, ist die Geschichte realitätsfern; angefangen damit, dass Tom betrunken nach Hause kommt und aus Versehen in der Wohnung seiner Nachbarin landet, in der wieder einmal eine Party steigt. Harriet äußert wiederholt, dass sie nicht alle ihre Gäste kennt, die sich „bis drei Uhr früh den Schädel wegsaufen“ und in ihre „Toilette kotzen“, wobei sie selbst auch reichlich dem Alkohol zuspricht.

Fast über die gesamte Länge scheint es sich bei dem Plot um einen Beziehungsroman zu handeln. Selbst für eine weibliche Leserschaft sind die Ausführungen auf Dauer langweilig, welche Anstrengungen Lexie unternimmt um schwanger zu werden oder wie sie kaum noch die monatlichen Enttäuschungen verkraften kann. Dass es sich bei „Die Nachbarin“ von Caroline Corcoran um einen Thriller handeln soll, nähren Aussagen von Harriet, dass sie bereits in einer psychiatrischen Klinik war, ihren Nachnamen angeblich geändert haben will und „weitaus Schlimmeres“ gemacht hat. Aber obwohl es auf den letzten Seiten tatsächlich einmal kurz spannend wird, werden sogar diese Erwartungen, was Harriet wirklich Schlimmes getan haben könnte, zumindest bei einem Leser, der einen Thriller erwartet, nicht erfüllt.

Die Nachbarin von Caroline Corcoran

Die Nachbarin
Übersetzung von Sybille Uplegger
Heyne Verlag 2020
Klappenbroschur
448 Seiten
ISBN 978-3-453-58080-0

Bildquelle: Heyne Verlag
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