So befreien Sie sich von unsinnigen Benimmregeln und falschen Karrierehelfern!
Bereits vor über zweihundert Jahren hat Freiherr Adolph Knigge sein Werk Über den Umgang mit Menschen* verfasst und schon erkannt, dass Höflichkeit zum guten Umgangston gehört. Worauf es heute ankommt, hat Kai Oppel in seinem Ratgeber Die Knigge-Kur* zusammengefasst, wobei er mit der Erläuterung der seiner Meinung nach sieben Knigge-Feinde Mobilität, Erreichbarkeit, Effizienz, Ökonomisierung, Informationsflut, Digitalisierung und Beschleunigung beginnt. Wegen der permanenten Erreichbarkeit, sogar beim Essen oder Autofahren, fühlt sich der Mensch gehetzt und möchte am liebsten zwei Dinge gleichzeitig erledigen. Trotz immer schneller werdender Verkehrsmittel spart der unter enormem Leistungsdruck Stehende keine Zeit ein, die Inanspruchnahme einer digitalen Bordkarte versichern ihn einer Effizienz und seinen Erfolg misst er gemäß dem ökonomischen Prinzip nur noch an materiellen Dingen, was unweigerlich körperliche Veränderungen zur Folge hat und sich auf seine Gesundheit in Form von Stress oder Burn-out auswirken.
Kai Oppel schreibt weiter, wer wen in welcher Form zu begrüßen hat, wann ein Geschenk als Bestechung zu werten ist und dass wir uns immer nur auf eine Sache konzentrieren sollten. Er rät zu kritischer Abwägung, welchen sozialen Netzwerken man beitreten möchte, zur Überprüfung der Datenquellen auf Zuverlässigkeit sowie unseren Mitmenschen gegenüber mit mehr Interesse zu begegnen. Er spricht die Nachhaltigkeit von beispielsweise beziehungsorientierter Geschäftsbeziehungen an und ebenso Themen wie Verlässlichkeit, Vertrauensbruch und Verschwiegenheit.
Natürlich widmet sich der Autor auch der Auswahl der Kleidung, nennt Regeln, die es in den unterschiedlichsten Bereichen im Miteinander zu beachten gilt, empfiehlt einen fairen Umgang sowie unseren Mitmenschen mit Toleranz und Respekt zu begegnen. Immer wieder lässt er auch die in anderen Ländern üblichen Knigge-Regeln einfließen und weist darauf hin, dass Gesten dort oft andere Bedeutungen haben und missverstanden werden können. Außerdem listet er das Für und Wider einer Sharing-Economy auf, mit der die Teilung eines Autos oder Büros gemeint sein kann.
Wer einen ersten Blick in den Ratgeber Die Knigge-Kur* wirft, dem fallen das gut strukturierte Inhaltsverzeichnis und ein Übersicht verschaffendes Layout auf. Zudem lockern Umfrageergebnisse in Tabellenform und zwei Tests den mit praktischen Beispielen verfassten Text auf. Besonders die Kapitel, in denen von Outsourcing, Shareholder-Value oder Customer-Relationship-Management-Tool die Rede ist, erwecken den Eindruck, das Buch richte sich ausschließlich an Businessleute und Ökonomen. Doch kann auch jeder Privatmensch eine Menge interessanter Anregungen aus dem Buch für sich mitnehmen.
Dass Kai Oppel für den Mailverkehr empfiehlt, sowohl auf Rechtschreibung, als auch auf korrekte Grammatik zu achten, ist lobenswert, um so weniger aber die Nichtbeachtung dieser Knigge-Regel in seinem Buch, dass vom C.H. Beck Verlag herausgegeben wurde, den ansonsten ein gutes Korrektorat auszeichnet. Der Autor selbst hat im Kapitel der Weinverkostung nicht korrekt ausgeführt, dass der Wein aus einer mit einem Kunststoffkorken versehenen Flasche nicht korkig sein kann. Wie nicht einmal allen Weinkennern bekannt sein dürfte, ist der Übeltäter des als korkig eingestuften Weines eine Pilzinfektion, durch die Trichloranisol entsteht. Nicht mehr angelastet werden darf ihm die bedauernswerte, vorgeschriebene Reihenfolge beim Eindecken des Tisches, der vielen Linkshändern keinerlei Rechnung trägt.
Diese Kritikpunkte sollen auf keinen Fall darüber hinwegtäuschen, dass der teils makaber anmutende und oftmals höchst amüsant geschriebene Ratgeber Die Knigge-Kur* einen wichtigen Beitrag in einer Zeit darstellt, in der der Weg längst nicht mehr das Ziel ist und in der der Mensch das Wort Muße für ein Fremdwort hält. Es bleibt zu wünschen, dass stressgeplagte Menschen sich nicht wie die auf dem Cover abgebildete Marionette fremd bestimmen lassen, sondern Konsequenzen aus der Lektüre ziehen und die Fäden in Zukunft selbst in die Hand nehmen.