Seit über zweihundert Jahren befindet sich das Weingut Graven im Saarland im Familienbesitz, der ganze Stolz von Winzer Thomas von Manthey. Kurz nach seiner Rückkehr von einer Weinmesse stürzt er im Weinberg infolge eines Herzinfarkts. Seine Frau Pia gibt ihrer Schwester Nane die Schuld, weil die nach zwanzigjähriger Haft direkt nach ihrer Entlassung aus dem Gefängnis mit Thomas reden wollte. Ihr plötzliches Auftauchen muss Thomas dermaßen erschreckt und den Infarkt ausgelöst haben. Im Krankenhaus führt zu allem Unglück eine Embolie dazu, dass er ohne Bewusstsein ist. Vorerst soll sich Tochter Lissy um das Weingut kümmern, die deshalb ihren Urlaub abbricht. Doch Margot, die von Thomas Eltern schon als Kind aufgenommen wurde und die sich inzwischen als unentbehrlich erwiesen hat, möchte ihrem Sohn Marius die Verantwortung über das Weingut übertragen. Die neuen Entwicklungen, die mit der Freilassung von Nane ihren Lauf nahmen, rufen bei allen Beteiligten Erinnerungen an ein Geschehen vor zwanzig Jahren hervor:
Thomas von Manthey wagt nach dem Tod seiner ersten Ehefrau einen Neubeginn mit Pia. Als er hört, dass sein Sohn Henning sie vergewaltigen wollte, kommt es zum Streit zwischen den Männern. Henning verunglückt daraufhin tödlich mit dem Auto, wofür Nane verantwortlich gemacht und zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt wird. Erst zwanzig Jahre später wird sie auf Bewährung freigelassen und von ihrer Schwester Birgit aufgenommen, die den von den Eltern geerbten Kunsthandel weiterführt. Auf dem Weingut legt sich Pia unterdessen nicht nur mit Margot an, sondern auch mit ihrer Tochter Lissy, die nicht immer Verständnis für ihr Handeln aufbringt. Und zu allem Überfluss hat es sich Sonja, die Tochter von Henning und Enkeltochter von Thomas in den Kopf gesetzt, in der Remise des Weinguts einen Roman über die Familiengeschichte zu schreiben, wobei sie bei der Rekonstruktion des Unglücksabends, der ihrem Vater das Leben kostete, unter Zuhilfenahme alter Protokolle auf Widersprüche stößt.
Ellen Sandberg stellt in ihrem Roman Der Verrat* wechselweise das Leben der Handlungspersonen vor: Kunsthändlerin Birgit wurde eine Liebschaft zu einem ihrer Schüler zum Verhängnis, während Nane nach einer gescheiterten Ehe und unglücklichen Liebe im Gefängnis landet. Einzig Pia scheint Glück in der Liebe gefunden zu haben und will sich das nicht von Margot nehmen lassen, wobei das Verhältnis der beiden zueinander immer feindseliger wird und letztlich in einer „Schlammschlacht“ endet. Dass bei dem tödlichen Autounfall irgendetwas nicht mit rechten Dingen zugegangen sein muss, wird dem Leser bereits bei Passagen bewusst, in denen Sonja sich an die Unglücksnacht erinnert oder Pia sich in einem Wutanfall mit Äußerungen wie „Gespinst aus Lügen“ und „für die Wahrheit längst zu spät“ verrät.
Handlungsort des Romans Der Verrat* ist das fiktive Dorf Graven, das wie viele reale Orte im Saarland tatsächlich eine lange Tradition im Weinanbau hat und deren Weine vor einhundert Jahren in aller Welt geschätzt waren. Heute besinnen sich Winzer zunehmend der einzigartigen Qualität der Weine aus in den Hanglagen, so dass inzwischen wieder von den größten, aber leider auch teuersten Weißweinen der Welt gesprochen wird, die eine lange Lagerfähigkeit auszeichnen und damit einen neuen Trend setzen. Die Autorin schreibt Wissenswertes über den Weinanbau, weiß aber auch Detailliertes von Gemälden und Künstlern zu erzählen.
Auffallend sind einige Erwähnungen, die nicht unbedingt jedem ein Begriff sind: Wer trägt schon einen Anzug des italienischen Herstellers Brioni, der sich mit seinen luxuriösen Maßanfertigungen einen Namen gemacht hat? Bei der Erwähnung von Horsd’œuvre weiß nicht jeder, dass es sich dabei um Canapés handelt, die gerne bei Empfängen gereicht werden, und auch die Augenfarbe paynesgrau von Thomas, die mit einem blaustichigen grau beschrieben wird, ist nicht jedem geläufig. Wenn die unüberschaubaren Familienverhältnisse für den Leser zu Beginn auch verwirrend sind und er sich fragt, warum Sonja ausgerechnet nach zwanzig Jahren mit allen reden will, just zu dem Zeitpunkt, als Nane freikommt, spricht das nicht gegen die Lektüre. Denn der Plot ist äußerst intelligent und raffiniert aufgebaut und spannender als mancher Krimi, wobei Wendungen dafür sorgen, dass sich das Blatt immer wieder zu Gunsten einer anderen Person wendet.