Die Historikerin Dr. Katharina Adler ist Dozentin am Institut für Wirtschafts- und Sozialgeschichte an der Universität Wien. Sie ist Expertin für Sozial-, Alltags- und Frauengeschichte und hat ein mehrmonatiges Stipendium in den USA erhalten, um neue wissenschaftliche Impulse nach Österreich zu bringen. Doch um die neu geschaffene Stelle einer Assistenzprofessur, die eigentlich an sie gehen sollte, zu bekommen, muss sie im nächsten Semester eine Übung abhalten. Aus dem Institut für Osteuropäische Geschichte wurde beim Bildungsministerium Einspruch gegen die Vergabe erhoben, denn Dr. Florian Bruckmann, der ebenfalls an der Assistenzprofessur interessiert ist, will mit einer eigenen Lehrveranstaltung die Professoren von seiner Kompetenz überzeugen.
Im Gegensatz zu Florian Bruckmann, der sich bestens auf seine Aufgabe vorbereitet hat, trifft Katharina die Entscheidung des Professorenkollegiums völlig überraschend. Als Bruckmann ihr kurz darauf im Gang des Instituts begegnet, schenkt er ihr eine Blattsammlung, ein Kochbuch aus dem 19. Jahrhundert, und möchte von ihr wissen, welches Thema sie für ihre Lehrveranstaltung ausgewählt hat. Da sie noch keine Ahnung hat, zu welchem Thema sie eine Lehrveranstaltung abhalten möchte, weil sie von der Situation überrümpelt wurde, behauptet sie, eine Übung zum Thema Kochbücher abzuhalten, denn alles könnte zur historischen Quelle werden.
Die Beschaffung von Büchern für ihre wissenschaftliche Studie erweist sich als recht schwierig, da die Universitätsbibliotheken nicht die erforderlichen Kochbücher in ihrem Bestand führen. Nach einem Inserat in einigen Wiener Zeitungen erhält Katharina mehrere Pakete mit Kochbüchern von einem Antiquariat als Spende. Beim Auspacken der Kartons findet sich ein Kochbuch mit polnischen Rezepten, das 1947 in Hirschberg veröffentlicht wurde. Katharina blättert durch mehrere Seiten und findet es merkwürdig, dass kurz nach dem Krieg ein polnisches Kochbuch auf Deutsch in ihrem Geburtsort in Polen veröffentlicht wurde. Sie kann es gar nicht fassen, als sie im Impressum den Namen Juliane Gartner liest, denn das ist der Mädchenname ihrer Mutter. Noch nie hatte sie davon gehört, dass ihre Mutter Jule ein Kochbuch mit ausschließlich polnischen Gerichten verfasst hat. Als leidenschaftliche Historikerin hat sie die Vergangenheit erforscht, doch anscheinend die Geschichte ihrer Familie dabei ausgespart.
Julia Kröhn erzählt in ihrem Roman „Der Pakt der Frauen“ die Geschichte ihrer eigenen Familie, wobei die aktuellen Ereignisse, die im Jahr 1976 angesiedelt sind, immer wieder von Kapiteln unterbrochen werden, in denen die Erlebnisse von Katharinas Mutter Jule in den Jahren von 1932 bis 1945 geschildert werden. Kurz nachdem Jule den Feinmechaniker Carl Adler geheiratet hat, wird er im Jahr 1943 nach Hirschberg versetzt, denn Deutschland hat inzwischen viele Betriebe der Rüstungsindustrie nach Niederschlesien verlegt. Dort erlebt Jule, welches Leid die Zwangsarbeiterinnen aus Ungarn, Polen, Tschechien und Russland in den Fabriken ertragen müssen und beschließt, den Frauen zu helfen. Ihr gelingt es, eine Anstellung als Köchin in einem Lager für Zwangsarbeiterinen zu bekommen und schmuggelt immer wieder Essen in das Lager. Sie kocht nicht nur für die Frauen, die ihr nach anfänglichem Misstrauen die Rezepte aus ihrer Heimat verraten, sondern bestärkt sie auch sich gegenseitig zu unterstützen.
Es dürfte wohl kein weiteres Buch über den Zweiten Weltkrieg geben, in dem das Elend der Zwangsarbeiterinnen in Niederschlesien so anschaulich und einfühlsam geschildert wird. Angesichts dessen ist die Aussage der Protagonistin Katharina zutreffend, dass alles zu einer historischen Quelle werden kann, denn in ihrem Roman „Der Pakt der Frauen“ erzählt Julia Kröhn nicht nur eine unterhatsame Familiengeschichte, sondern schildert auf spannende Weise ein Stück Zeitgeschichte. Die Autorin macht deutlich, wie unzureichend sich die Rolle der Frau, als Hausfrau und Mutter, seit den 1940er bis hin zu den 1970er Jahren verbessert hat. Deshalb plädiert sie für mehr Zusammenhalt der Frauen und gegenseitige Unterstützung, um auch in Bereichen, die von Männern dominiert werden, beruflich voranzukommen. Obwohl der Roman die Schicksale von Frauen schildert, ist die Lektüre auch, oder gerade deshalb männlichen Lesern zu empfehlen.
Der Pakt der Frauen von Julia Kröhn
Heyne Verlag 2024
Hardcover mit Schutzumschlag
352 Seiten
ISBN 978-3-453-27421-1