Das kurze Leben des Ray Müller von Ralf Bönt

Das kurze Leben des Ray MüllerDer Krimiautor Marko Kindler wartet in Berlin seit Stunden auf einen Psychologen, der ihn verhören soll. Denn er hat seinen erst wenige Wochen alten Sohn entführt, der dabei zu Tode kam. Während der langen Wartezeit blickt Marko auf sein Leben zurück, zunächst an der Seite seiner Jugendliebe Nadja, mit der er die Kinder Jakob und Merle hat. Marko leidet unter einer Hausstaub- und Gräserallergie sowie extremer Schlaflosigkeit. Seine Schilddrüsenerkrankung verursacht bei ihm Zahnfleischblutungen und lässt ihn zu immer höheren medikamentösen Dosen greifen, die extreme Auswirkungen auf seinen Sexualtrieb haben: Filmszenen mit Lesben reizen ihn immer mehr, er genießt erotische Massagen und wegen häufiger Masturbationen wird seine Haut wund.

Nach der Trennung von Nadja startet er mit Lycile einen Neuanfang. Vorübergehend arbeitet er als Autohändler, doch auf Wunsch von Lycile versucht er ein Comeback als Autor bei seinem Verleger Hottinger. Doch weder ihm, noch Lycile gegenüber erwähnt er das niederschlagende Ergebnis eines Hirntests, den der Neuropsychologe Dr. Neuer gemacht hat. Eine kostspielige Entgiftung und eine eingereichte Klage gegen Ärzte wegen einer Fehlbehandlung vergrößern zunehmend seine Geldsorgen. Schließlich stirbt am selben Tag, an dem sein Sohn Ray geboren wird, in New York die Künstlerin Nele Black. Nelly war seine beste Freundin. Als er von ihrer Beerdigung zurückkehrt, kann sich Marko, der noch immer unter der verminderten Zuneigung seiner Mutter leidet, nicht mehr mit seiner Situation abfinden, zumal die Beziehung zu Lycile problematischer geworden ist, und er begibt sich mit dem Säugling Hals über Kopf auf eine lange Reise.

Ralf Bönt beginnt seinen Roman „Das kurze Leben des Ray Müller“ mit einer ausführlichen Beschreibung der Geburt von Ray. Dann ist von Nadja, Jakob und Merle die Rede, wobei sich dem Leser erst allmählich die Familienverhältnisse erschließen. Wie schon bei der Darstellung der Geburt, bei der eine außergewöhnliche Sachkenntnis des Autors auffällt, umschreibt Ralf Bönt auch andere Szenen sehr detailreich, wenn er beispielsweise ausführlichst über die Masturbation seines Protagonisten berichtet. Gerne bedient sich der Autor medizinischer Fachbegriffe wie einer Konisation, die wahrscheinlich nur wenige Leser mit einem operativen Eingriff am Muttermund verbinden. Oder er benutzt anatomische Begriffe wie Sacrum für das Kreuzbein, Perineum für den Damm und Frenulum für das Vorhautbändchen. Dass Thyroxin bei einer Schilddrüsenunterfunktion eingenommen wird, kann vielleicht noch jeder nachvollziehen.

An verschiedenen Stellen hat Ralf Bönt wiederholt den Anschlag auf das World Trade Center in die Geschichte einfließen lassen. Auch die Erwähnung einer Episode über den Einmarsch der Russen im Krieg war ihm wichtig. Ausführlicher informiert er den Leser über die Kausalitäten von quecksilberhaltigem Amalgam und Schilddrüsenerkrankungen und die damit im Zusammenhang stehenden Atombombenversuche bis in die frühen 1960er Jahre. Wer bei dem Roman erwartet hat, Näheres über „Das kurze Leben des Ray Müller“ zu erfahren, wird schnell feststellen, dass der eigentliche Protagonist nicht Ray, sondern sein Vater Marko ist. Anfangs wird der Leser von der Geschichte noch gefesselt und sie weckt seine Neugier. Doch der sich über viele Seiten hinziehende Erzählstil in der Ich-Form ermüdet und ist daher nur bedingt zu empfehlen.

Das kurze Leben des Ray Müller von Ralf Bönt

Das kurze Leben des Ray Müller
DVA 2015
Hardcover mit Schutzumschlag
332 Seiten
ISBN 978-3-421-04639-0

Bildquelle: DVA
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