Blumenspiel von Hajo Steinert

BlumenspielHeinrich Theodor Karthaus arbeitet im elterlichen Betrieb. Sein Vater, ein Kunstschmied, ist ein Patriarch und unterstützt im Gegensatz zur Mutter nicht die Vorliebe Heinrichs zum Malen. Nach dem Tod der Eltern unterbreitet ihm Else Römer, eine Freundin seines Vaters, das Angebot, zu ihr nach Cöln an den Rhein zu ziehen. Nach anfänglichem Zögern entschließt sich Heinrich zum Verkauf der Schmiede und des Fachwerkhauses und begibt sich im Jahr 1908 mit einem Koffer, einem Rucksack und seinem Hammer von Engelskirchen im Bergischen Land nach Cöln, wobei er die Strecke aus Angst vor der Eisenbahn zu Fuß bewältigt. Bei Else Römer, die ihn wie eine Mutter umsorgt, wohnt er in der vierten Etage zur Untermiete und legt sich den Künstlernamen Henri Cartouse zu, da er endlich seiner Leidenschaft frönen kann.

Von seinem Balkon aus fällt Heinrich auf der gegenüberliegenden Straßenseite ein Schaufenster auf, durch das die Näherin Hedwig Maria Groll zu sehen ist. Fortan kreisen seine Gedanken nur noch um ein Treffen mit ihr, während seine Vermieterin Else auf eine Zukunft mit ihm hofft. Bei Hedwig, die für die Kostümbildnerei an der Oper arbeitet, lässt auch Bariton Rudolf Rosenblatt nähen. Ihre Eltern Arnold und Luise Groll bestehen auf einer Verlobung. Hedwig findet jedoch mehr Gefallen an dem Maskenbildner Charles Blumenschön, kurz Charly genannt. Während einer Versammlung, die sich um Lärmschutz bemüht und sich gegen alle „Krachmacher“ richtet, begegnet Heinrich endlich seiner Angebeteten. Die beiden besuchen ein „Kinema“ und gehen zum „Blumenspiel“. Nachdem Charly Hedwig gegenüber in den höchsten Tönen von Ascona geschwärmt hat, wo auf dem Monte Veritá die „freie Ehe“ gelebt wird, bittet Hedwig schließlich Heinrich, sie dorthin zu begleiten.

Wenn die Handlung des Romans auch frei von Hajo Steinert erfunden wurde, so haben doch die meisten Handlungspersonen tatsächlich gelebt. Auch haben die von Johannes Fastenrath 1899 ins Leben gerufenen und bis 1914 zur Förderung der Dichtung abgehaltenen Blumenspiele in Köln einen realen Hintergrund. Der im Tessin gelegene Hügel Monte Veritá propagierte zur Lebenszeit der Protagonisten die sexuelle Freiheit, deren Erwähnung Hedwig neugierig gemacht hat.

Obwohl der Autor die wörtliche Rede äußerst sparsam verwendet hat, macht der Plot neugierig auf den weiteren Handlungsverlauf. Insbesondere ist das dem Umstand zu verdanken, dass sich der Leser in eine „fremde“ Zeit versetzt fühlt, was schon mit der alten Schreibweise „Cöln“ und „Kinema“ einen Anfang nimmt. Hajo Steinert hat immer wieder Details einfließen lassen, die sich ein moderner Mensch heutzutage kaum vorstellen kann. So fährt Heinrich zum ersten Mal in seinem Leben mit einer Straßenbahn, und zwar sechs Stationen zu zwanzig Pfennig, und bewundert vorüberziehende Schiffe auf dem Rhein. Ein harmloser Kuss in einer Bahnhofshalle konnte noch Empörung bei den Menschen auslösen und man diskutierte über die Anstellung eines Verkehrspolizisten an einer Kreuzung. Die Mitstreiter, die sich seinerzeit für den Lärmschutz wegen zunehmender „Hupkonzerte“ stark gemacht haben, würden vermutlich heute angesichts der kilometerlangen Blechlawinen die Hände über dem Kopf zusammenschlagen.

Für den beeindruckenden Roman „Blumenspiel“ hat der Autor umfangreiche Recherchen betrieben: Ob es um den amtierenden Oberbürgermeister Max Wallraf geht, die seit 1842 bestehende und noch heute existierende Lengfeld‘sche Buchhandlung, den Begründer von Ohropax Maximilian Negwer oder das schwere Unglück im Jahr 1908 beim Bau der Südbrücke über den Rhein. Hajo Steinert erinnert weiterhin an Käthe Kruse, deren Puppen mittlerweile einen hohen Sammlerwert besitzen, und an den Grafen Zeppelin, der sich mit seinem Luftschiff einen Namen gemacht hat. Seinen Protagonisten Heinrich beschreibt er als zunehmend schwermütig, da seine Kunst bei dem neu aufkommenden Jugendstil keine Beachtung finden konnte. Wie ein Kind, das vor seinen Eltern etwas verheimlicht, verschweigt und versteckt er aus Rücksichtnahme vieles vor seiner Vermieterin, weil er sie nicht enttäuschen will. Bis zur letzten Seite fühlt der Leser mit Heinrichs sehnsuchtsvollem Verlangen, das gestillt werden will.

Blumenspiel von Hajo Steinert

Blumenspiel
Penguin Verlag 2019
Hardcover mit Schutzumschlag
288 Seiten
ISBN 978-3-328-60008-4

Bildquelle: Penguin Verlag
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