Baedeker’s Handbuch für Schnellreisende

Baedeker’s Handbuch für SchnellreisendeWas sich aus einer Zusammenstellung von „Fundstücken aus den ersten hundert Jahren der Baedeker-Reiseführer“, wie es im Vorwort zum „Handbuch für Schnellreisende“ heißt, bis heute geändert hat, wird kaum deutlicher als an den Ausführungen in einem Band zu Spanien, in dem wegen vorherrschender Hitze von Reisen in den Sommermonaten abgeraten wurde. Die Vorstellung, dass eines Tages zehn- und hunderttausende von Sonnenhungrigen die iberische Halbinsel zu genau jener als unwirtlich geltenden Reisezeit aufsuchen, war für Karl Baedeker offenbar fern jeder Realität.

Christian Koch, Philip Laubach und Rainer Eisenschmid haben aus den alten Reisehandbüchern quasi die Essenz geschöpft und die in altertümlicher Sprache gehaltenen Texte mit äußert amüsanten und treffenden Kommentaren aufgelockert. Ein beliebtes Thema schienen die Weine gewesen zu sein: Während die in Deutschland produzierten eine gute Beurteilung erhielten, hieß es für die französischen Weine, sie seien gekünstelt, die in Nordamerika wären schlecht und teuer. In Belgien stieß man auf eine „ächte“ Bierleidenschaft und auf das reinlichste Dorf der Welt. Von einer Reise nach Rom wurde wegen der Malariagefahr abgeraten, Sevilla wäre eine Reise wert, in London sollte sich der Reisende vor Hochstaplern in Acht nehmen, die rheinischen Gasthöfe wären die ausgezeichnetsten Deutschlands und in Konstantinopel, dem heutigen Istanbul, hat es „vortrefflich geführte Gasthöfe ersten Ranges“ gegeben.

Zur Zeit der ersten Handbücher war im Jahr 1859 das Baden auf Norderney noch nach Geschlechtern getrennt. In Russland sind die schlechten Zähne der Frauen beschrieben worden, die man auf den massenhaften Genuss von Süßigkeiten zurückgeführt hat. Doch damit nicht genug: Den Frauen wurden bei der Auswahl ihrer Kleidung auch noch „bedenkliche Geschmacklosigkeiten“ in der Farbzusammenstellung attestiert. Gegenteiliges war im Rheinland anzutreffen, denn dort trugen die Landmädchen bis zu ihrer „Heirath“ einen „geschmackvollen Kopfputz“. Auf den Seedampfern, den Vorläufern der heutigen Kreuzfahrtschiffe, die schon damals Schweden und Norwegen zum Ziel hatten, mussten Frauen nur den halben Preis entrichten, was leider irgendwann abgeschafft worden sein muss.

Wenn ein Reisender heutzutage auf der Hut vor Fälschungen jeglicher Markenprodukte sein muss, dann konnte er zu Karl Baedekers Zeiten nicht sicher sein, ob es sich bei den angebotenen Altertümern aus den Gräbern in Ägypten um Originale handelte. An die Besteigung des Mount Everest war noch nicht zu denken, dafür wurde aber schon eine Kammwanderung in einem Handbuch für Indien empfohlen, ergänzt mit der Empfehlung, ein eigenes Waschbecken mitzunehmen. An weiteren Kuriositäten mangelt es in dem „Handbuch für Schnellreisende“ nicht. So ist in dem für das Jahr 1855 herausgegebenen Band für Paris von erhängten Hunden die Rede, die vom „Eigenthümer“ nicht rechtzeitig abgeholt wurden, und großer Beliebtheit erfreute sich dort die Ausstellung aufgefundener Leichen, die für drei Tage öffentlich ausgestellt wurden. Kaum zu glauben, dass Bergführer in der Schweiz gegen die Unsitte, geleerte Weinflaschen in der Nähe der Alpenvereinshütten zu zerschlagen, ankämpfen mussten.

Christian Koch, Philip Laubach und Rainer Eisenschmid haben durch die vorangestellten Erläuterungen zu jeder Region eine Menge an interessanten Informationen zusammengetragen, die vom DuMont Reiseverlag in einem Buch im praktischen Taschenformat herausgegeben wurden. Es ist schwer zu sagen, worin der Reiz des Inhalts liegt: Sind es eher die den alten Baedeker-Reiseführern entnommenen Texte, die allein schon wegen ihrer längst überholten oder unglaublichen Geschichten lesenswert sind, oder sind es die in roter Schrift gekennzeichneten Kommentare der Autoren, die der Aufheiterung des Lesers dienen und ihn immer wieder zum Schmunzeln anregen.

Baedeker’s Handbuch für Schnellreisende

Baedeker’s Handbuch für Schnellreisende
DuMont Reiseverlag 2019
Hardcover
384 Seiten
ISBN 978-3-7701-6686-2

Bildquelle: DuMont Reiseverlag
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