Dr. Herb Mazur hat eine gynäkologische Praxis in Wien. Mit seiner Ehefrau Magdalena hat er die Tochter Greta, die jedoch in Stockholm lebt und nur selten zu Besuch kommt, sowie den Sohn Herb Simon Mazur. Der Gynäkologe bereitet sich darauf vor, seinem Sohn die Praxis zu überlassen.
Mit diesen Worten ist im Prinzip schon der Inhalt des Romans Ameisenmonarchie* von Romina Pleschko wiedergegeben. Was noch fehlt sind die weiteren Handlungspersonen, die den Reiz des Plots ausmachen, denn sie alle sind in jeder Hinsicht auf ihre Weise einzigartig: Zunächst ist da der Gynäkologe Herb Senior, der bereits vor einem Ergebnis einer Blutuntersuchung die richtige Diagnose stellt. So sehr er sich die Praxisübernahme durch seinen Sohn wünscht, so missgönnt er diesem den Anblick seiner attraktiven Sprechstundenhilfen. Seiner Ehefrau mischt er in pulverisierter Form Tabletten gegen ihre hysterischen Anfälle zum Zwecke der Sedierung in die Salami, wohl wissend, dass sie sich ausschließlich von dieser ernährt.
Magdalena zeichnet neben ihrer Vorliebe für die Malerei aus, dass sie nicht spricht, obwohl sich hinter ihrer Weigerung kein pathologischer Fall verbirg. Sie wandelt lediglich in einem Morgenmantel bekleidet durch die Zimmer und, auch das bemerkenswert, hegte sie bereits in den Flitterwochen erste Zweifel daran, ihren Lebensabend an der Seite ihres Gatten zu verbringen. Bereits früh hatte sie die Ahnung beschlichen, ihr Sohn Herb Simon könnte homosexuell sein, was sie jedoch nie zur Sprache brachte. Obwohl der eigentlich gar kein Interesse daran bekundete, in die Fußstapfen seines Vaters zu treten, ist er Gynäkologe geworden. Doch gerade sein Studium hat bei ihm die Abneigung gegenüber dem anderen Geschlecht noch verstärkt.
Neben dieser Familie sind noch weitere Handlungspersonen von Bedeutung, die zusammen in einem Wohnhaus leben. Da ist Karin, die nach der Scheidung alleine mit ihrer Tochter Helene lebt, in einer Kosmetikabteilung eines Kaufhauses arbeitet und ein Forum einzig zu dem Zweck nutzt gelobt zu werden. Sie wird bei jeder sich bietenden Gelegenheit von ihrem Nachbarn Klaus durch den Türspion beobachtet, wobei er vergeblich beim Onanieren einen Orgasmus zu erlangen versucht, womit allerdings seine Perversion noch keine Grenze kennt. Von ihm ist stets als dem „Mann namens Klaus“ die Rede. Er liebt es, sich in die Musiklautstärke seiner Nachbarn zu hacken, macht sich einen Spaß daraus, Karin in einem Elternforum unter einem Nickname anzuschreiben und pflegt eine äußerst ungewöhnliche Sammelleidenschaft. Schließlich ist noch ein Nationalratsabgeordneter Mieter des Wohnhauses, der einer „unwählbaren Partei“ angehört und der die Duftwolke von Mandarino di Amalfi* durch das Stiegenhaus trägt.
Romina Pleschko schreibt im Wechsel von dem Geschehen, das sich hinter der Wohnungstür der Hausbewohner ereignet. Ihre Protagonisten hat sie mit ausgefallenen und verblüffenden Eigenarten ausgestattet, die zudem auf die verrücktesten Ideen kommen, was den Leser schmunzeln lässt, und ihre Recherchen zu den gynäkologischen Ausführungen sind ebenso stimmig wie die über die ungarische, als Blutgräfin bekannt gewordene Báthory Erzsébet, die zu Beginn des 17. Jahrhunderts zugunsten ihrer Haut hunderte Jungfrauen auf sadistische Weise gequält und ermordet hat. In ihrem Roman wagt die Autorin einen ungetrübten Blick quasi hinter die Kulissen, in ein Wohnhaus. Obwohl der Leser keine Auflösung erwartet, hat er von Anfang an ein Interesse an der weiteren Entwicklung der Geschehnisse. Am Ende wird er sogar noch mit unvorhergesehenen Wendungen überrascht.
Ameisenmonarchie von Romina Pleschko
Verlag Kremayr & Scheriau 2021
Hardcover mit Schutzumschlag
208 Seiten
ISBN 978-3-218-01270-6