Nagel im Himmel von Patrick Hofmann

Nagel im HimmelOliver Seuß, deren Mutter das unerwünschte Kind schon kurz nach der Geburt im Jahr 1989 verlassen hat, wurde daraufhin von seinem Vater Achim in eine Wochenkrippe gegeben. Von allen ungeliebt, galt Oliver stets als Außenseiter. Bereits in der Grundschule fiel seine rasche Auffassungsgabe für Mathematik auf. Zunehmend fühlte er sich von der Verbindung der Klänge von Bach und ein paar Gläsern Bier beflügelt. Als ihm die Direktorin wegen übermäßiger Fehlstunden mit einem Wechsel des Gymnasiums droht, verspricht er, für eine mathematische Olympiade in Montreal alles zu geben. Tatsächlich freut sich die Schule über die mit seinem Erfolg verbundene Auszeichnung, und die Direktorin empfiehlt dem Eigenbrötler ein Studium in Dresden. Dort lässt er sich gehen, vernachlässigt seine Körperhygiene und bleibt ohne Freunde, was nicht ausschließt, dass er nach erfolgreichem Abschluss seines Studiums als „größte mathematische Hoffnung des Landes“ gilt.

Die Forschungslabore öffnen dem Leibniz-Preisträger die Tore. Oliver ist von dem Gedanken besessen, die von Bernhard Riemann im Jahr 1859 aufgestellte Vermutung zu beweisen, „dass sich hinter dem unregelmäßigen Vorkommen der Primzahlen eine höhere Ordnung verberge“. Er wird Doktorand bei Prof. Sigismund Dorfmeister, wohnt trotz eines großzügigen Stipendiums in einer WG, spricht reichlich dem Alkohol zu und ist verwirrt, als er die intelligente Physikstudentin Ina trifft und sie auch noch attraktiv findet. Wiederholt kreuzt sie seinen Lebensweg und er fühlt sich von ihr ausgenutzt. Unterdessen hoffen Wissenschaftler aus aller Welt auf Olivers Durchbruch in der Grundlagenforschung.

Im Vordergrund des Romans „Nagel im Himmel“ von Patrick Hofmann steht das Wirken seines Protagonisten, der immer wieder seine Familie in der sächsischen Kleinstadt Krauthain besucht. Nach dem Tod seiner Großmutter trifft er dort auf seinen Vater, dessen Schwestern, seine Stiefmutter und den vom Krebs gezeichneten Großvater. Eines Tages zieht es Oliver in die Ferne und er bucht einen Flug nach Istanbul, eine Reise, der sich der Leser dank der Erzählkunst des Autors im Geiste anschließt.

In dem Roman fallen nicht nur die langen, im sächsischen Dialekt und an anderer Stelle in englischer Sprache gehaltenen Dialoge auf, sondern vor allem die sehr detailliert geschilderten mathematischen Erläuterungen, die sich in erster Linie mit dem Beweis der Riemannschen Vermutung auseinandersetzen. So ist beispielsweise sein aus dem Jahr 1859 stammender Artikel über eine Seite in der Originalschreibweise wiedergegeben. Wiederholt hat der Autor auf die Entdeckung einer weiteren Mersenne-Primzahl (die fünfzigste fällt tatsächlich in die sich über fast zwei Jahrzehnte hinziehende Handlung) hingewiesen, die einem Laien so wenig sagt wie die Erwähnung der Zeta-Funktion von Leonhard Euler oder der Beweis der Taniyama-Shimura-Weil-Vermutung. Die über eine Seite lange Namensauflistung von Koryphäen auf diesem Gebiet kennen allenfalls Studenten des Fachs oder begeistert mathematisch interessierte Leser.

Über diese Thematik hinaus hat Patrick Hofmann für seinen Roman „Nagel im Himmel“ weitergehende Recherchen betrieben: Neben anderen über den Komponisten Johann Sebastian Bach, wie der 1741 in Dresden die „Goldberg-Variationen“ überreichte, oder die bedeutende Mathematikern Maryam Mirzakhani, die ein Busunglück überlebte und bereits mit vierzig Jahren einem Brustkrebsleiden erlag. Der Autor lässt Oliver und Ina ein interessantes Gespräch über die Telepathie führen, von deren Existenz die junge Frau überzeugt ist. Ungeachtet der inflationär in den Plot eingebauten Fachbegriffe fällt es nicht nur mathematik-/physikbegeisterten Lesern schwer, sich dem eindringlichen Erzählstil von Patrick Hofmann zu entziehen. Wer sich von den Fachtermini nicht abschrecken lässt, den erwartet ein mit Wendungen gespickter und mit einem nicht vorhersehbaren Ende verfasster Roman, der von dem erzählerischen Talent des Autors zeugt.

Nagel im Himmel von Patrick Hofmann

Nagel im Himmel
Penguin Verlag 2020
Hardcover mit Schutzumschlag
304 Seiten
ISBN 978-3-328-60128-9

Bildquelle: Penguin Verlag
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