Nacht über Tanger von Christine Mangan

Nacht über TangerVor einem Jahr hat Alice Shipley, die bis zu ihrer Volljährigkeit unter der Vormundschaft ihrer Tante Maude steht, den Heiratsantrag von John McAllister angenommen und ist ihm aus dem amerikanischen Bundesstaat Vermont nach Tanger gefolgt. Doch seitdem führt die schüchterne, unter Angstzuständen leidende und wenig Selbstbewusstsein ausstrahlende junge Frau in Marokko ein einsames Leben. Sie traut sich nicht auf die Märkte, während ihr Mann das Leben umso mehr genießt und mit ihrem aus einem Fond stammenden Geld verschwenderisch umgeht.

Ohne Ankündigung steht eines Tages Lucy Mason völlig überraschend bei Alice vor der Tür. In Bennington haben die beiden am College zusammen studiert und sich ein Zimmer geteilt. Lucy ist über den verwahrlosten Anblick von Alice erschrocken, die trotz der allgegenwärtigen Sonne ganz blass ist und bei der sich die Knochen unter dem Hausmantel abzeichnen. John zeigt sich wenig begeistert von dem Besuch, den er jedoch widerwillig akzeptiert. Er führt Lucy und seine Ehefrau durch das nächtliche Tanger und in Bars, in denen er Stammgast ist. Anders als Alice findet Lucy Gefallen an dem Menschengewühl und scheut auch nicht die Labyrinthe in den Suks. Auf ihren Streifzügen trifft sie dort auf Youssef, der immer wieder unvermittelt auftaucht. Dann wird John vermisst und in Alice reift ein schrecklicher Verdacht, der sie an die Zeit mit ihrem Verlobten Tom und den Autounfall erinnert, bei dem er den Tod fand.

Sowohl Alice, als auch Lucy erzählen in dem Roman „Nacht über Tanger“ von Christine Mangan abwechselnd in der Ich-Form. So werden oftmals dieselben Situationen aus einer anderen Perspektive beleuchtet. Beide Frauen berichten nicht nur vom aktuellen Geschehen, sondern auch von der gemeinsamen Zeit während des Studiums. Obwohl Alice aus einer wohlsituierten Familie stammt und Lucy lediglich ein Stipendium erhielt, waren sie einst beste Freundinnen. Schon nach wenigen Seiten deutet die Autorin erstmals einen Unfall in einer schrecklichen Nacht an, womit sie die Neugier des Lesers auf den Fortgang der Handlung weckt.

Der Plot ist im Jahr 1956 während der Aufstände in Tanger angesiedelt und fällt damit zeitlich in die angestrebte Unabhängigkeit sowohl von Französisch-Marokko im März 1956, als auch einen Monat später in Spanisch-Marokko. Christine Mangan hat in den Roman historische Begebenheiten über Tanger einfließen lassen und führt den Leser auf sehr eindrucksvolle und eindringliche Weise durch das Gassengewirr in der Medina. Die Handlungspersonen kehren in das 1921 eröffnete und noch heute existierende Café Hafa ein und rauchen in einer Pfeife Kif, wie Marihuana im Rifgebirge genannt wird. Vordergründig geht es in dem Roman „Nacht über Tanger“ um die Freundschaft von Alice und Lucy, die zunehmend Risse bekommt. Intrigen, Egoismus, Eifersucht und Skrupellosigkeit kommen bei diesem psychologisch meisterhaft umgesetzten Werk immer mehr zum Vorschein und sorgen für zunehmende Spannung, ähnlich einem Sog, dem sich kaum jemand zu entziehen vermag.

Nacht über Tanger von Christine Mangan

Nacht über Tanger
Übersetzung von Irene Eisenhut
Blessing Verlag 2018
Hardcover mit Schutzumschlag
368 Seiten
ISBN 978-3-89667-603-0

Bildquelle: Blessing Verlag
PGltZyBsb2FkaW5nPSJlYWdlciIgc3JjPSJodHRwczovL3ZnMDkubWV0LnZnd29ydC5kZS9uYS8wYzZjYThlYjIwMWU0OTJhOTZiNmUyNjJjY2VmMDAzMyIgd2lkdGg9IjEiIGhlaWdodD0iMSIgYWx0PSIiPg==

Teile diesen Beitrag