Altes Leid von Lea Stein

Altes LeidIn den britischen Besatzungszonen gab es ab 1945 weibliche Schutzpolizistinnen, wie sie Lea Stein in ihrem Kriminalroman „Altes Leid“ beschreibt: Trotz mieser Bezahlung tritt Ida Rabe im Mai 1947 ihren ersten Arbeitstag in der Davidwache auf der Reeperbahn an. Polizeimeister Hildesund empfängt sie unfreundlich und weist ihr ein Zimmer im unzureichend eingerichteten Keller zu. Dort trifft Ida auf Heide Brasch, die sie von ihrer Ausbildung kennt und der nicht zu trauen ist. Die Aufgabe der Frauen besteht in der Durchsicht der letzten Anzeigen, wobei Ida Randbemerkungen auffallen, die der nette Polizeimeisteranwärter Johann Meyerlich gemacht hat.

Gemeinsam mit ihrer britischen Vorgesetzten, Superintendent Ann Watson, müssen Ida und Heide ein Flüchtlingslager kontrollieren und sich die Kennkarten der Bewohner in dem ehemaligen Bunker zeigen lassen. An diesem Ort, der einmal Idas Zuhause war, holt sie die Vergangenheit ein. Bei der Durchsuchung stößt sie auf ein kleines Mädchen, das sich offensichtlich für eine Katze hält. Um etwas über das scheue „Katzenkind“ zu erfahren, befragt sie Marlise, die sie von früher kennt. Nur zögerlich antwortet diese, dass die aus dem Osten stammende Mutter des Mädchens zum Hamstern unterwegs war und seitdem vermisst wird. Seit Wochen, so berichtet Marlise weiter, würden Frauen vergewaltigt. Aus Angst melden sie das Vergehen nicht der Polizei, allenfalls gestohlenen Schmuck. Der Polizistin kommen wieder die Randbemerkungen der Diebstahlmeldungen in den Sinn.

Obwohl Ida klare Weisungen von Ann Watson hat, verlässt sie ihren Posten und will den Vergewaltigungen auf den Grund gehen. Von ihrer Vorgesetzten wird sie streng getadelt, dennoch ist sie fest entschlossen, der Kripo den Fall nicht zu übergeben, wo man doch nur davon überzeugt ist, die Frauen hätten die Männer provoziert, womit Opfer zu Tätern gemacht werden. Nachdem zuvor schon einige Prostituierte auf der Wache festgehalten wurden und Lea eine junge Frau besonders auffiel, die sich Gerichtsmediziner Dr. Ares Konstantinos freundlicherweise auf ihre Bitte hin ansieht, stellt er anhand von Quetschungen, Würgemalen und Abwehrverletzungen ohne Zweifel fest, dass sie vergewaltigt worden sein muss.

Dann meldet Meyerlich eine übel zugerichtete Leiche in Vierlande. Ida zählt eins und eins zusammen, denn alle von ihr befragten Frauen waren dort zum Hamstern unterwegs. Sie will das Monster dingfest machen und ist überrascht, den Mediziner offensichtlich falsch eingeschätzt zu haben. Alle Versuche, Kriminaloberkommissar Brasch, der von den Briten hohes Ansehen genießt und Vater ihrer Kollegin Heidi ist, von ihrer Spur zu überzeugen, schlagen fehl. Ohne es zu ahnen, begibt sie sich selbst in größte Gefahr, da sie keine Waffen tragen und kaum auf Unterstützung ihrer männlichen Kollegen hoffen darf.

Lea Stein hat ihren Kriminalroman, der Auftakt einer Reihe um Ida Rabe ist, bis auf einige Kapitel, in der eine Person in der Ich-Form berichtet, im Erzählstil geschrieben. Nach Kriegsende sind bittere Armut und Hunger ihrer Handlungspersonen allgegenwärtig. Sie macht die aussichtslose Lage der Frauen jener Zeit deutlich, die ungewollt schwanger wurden und dann nicht nur von der Gesellschaft geächtet, sondern oftmals auch von der eigenen Familie verstoßen wurden. Bekanntermaßen war es für Ärzte auch strafbar, einen Schwangerschaftsabbruch vorzunehmen, was die Frauen in die Hände von Kurpfuschern trieb. Eine Vergewaltigung bildete da keine Ausnahme, im Plot schreibt die Autorin gar von „nicht unwillkommener Gewalt“.

Ausnahmslos hat Lea Stein in alle Richtungen recherchiert: So erwähnt sie die Gabelsberger Kurzschrift, Vorläufer der späteren Deutschen Einheitskurzschrift, das Internierungslager Neuengamme und die DP, Displaced Persons Lager, sowie das durch den sowjetisch-finnischen Krieg 1939/1940 berühmt gewordene Puukko Messer. Trotz der überaus amüsanten Dialoge, die Ida Rabe mit dem Gerichtsmediziner Ares Konstantinos führt, lässt der spannende Krimi keine grausamen Schilderungen vermissen und ist schon allein deshalb interessant, weil er in einer Zeit angesiedelt ist, in der weibliche Schutzpolizistinnen kaum akzeptiert wurden. Man darf auf die Fortsetzung gespannt sein!

Altes Leid von Lea Stein

Altes Leid
Heyne Verlag 2023
Klappenbroschur
448 Seiten
ISBN 978-3-453-42606-1

Bildquelle: Heyne Verlag
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