
Ein Neuanfang wider Willen
Seit Camille Rosière ihr Elternhaus verlassen und nach Paris gezogen ist, bewohnt sie lediglich eine kleine Dachkammer und arbeitet in einem Reisebüro. Eines Tages erreicht die Zweiunddreißigjährige die dringende Bitte ihrer Mutter Jeanne, sie für mindestens sechs Wochen wegen eines Bandscheibenvorfalls auf der Apfelplantage zu unterstützen. Obwohl das Verhältnis zu ihrer Mutter von einem Ereignis überschattet ist, beantragt Camille notgedrungen unbezahlten Urlaub und fährt nach Vert-le-Coin, einem kleinen Dorf in der Normandie, das sie zuletzt auf der Beerdigung ihres Vaters vor drei Jahren gesehen hat.
Begegnungen im Dorf
Schnell stellt Camille fest, dass die Arbeit auf der Plantage zwar körperlich anstrengend ist, jedoch weniger Stress verursacht als ihr Job im Reisebüro. Sie trifft ihre alte Schulfreundin Sandrine wieder und begegnet den Kindern ihrer Nachbarn: der unscheinbaren Lilou und deren attraktiven Bruder Damien. Für den erwarteten Feriengast Antoine Olivier richtet Camille das Zimmer im Taubenturm her und wundert sich, warum jemand aus Paris seinen Urlaub auf einem scheinbar wenig abwechslungsreichen Hof verbringen möchte. Als sie von der schlechten finanziellen Lage der Plantage erfährt, zu der auch eine stillgelegte Cidrerie gehört, schmiedet sie sofort Pläne und unterbreitet ihrer Mutter Jeanne ihre Ideen. Doch diese weist sie zurück – und eine seit Jahren unterschwellige Feindseligkeit bricht erneut auf.
Verborgene Konflikte
In Julie Leuzes Roman Der Duft von Apfeltarte* wird schnell deutlich, dass Camille mit ihrem Leben nicht zufrieden ist und dass ein Ereignis das Verhältnis zu ihrer Mutter seit Jahren belastet. Auch Jeanne leidet unter der zunehmenden Spannung und hat den Tod ihres Ehemannes nicht verarbeitet – sie „spricht“ mit ihm, ohne eine Antwort zu erhalten. Doch die Konflikte beschränken sich nicht auf Mutter und Tochter: Sandrine fühlt sich in einer unglücklichen Ehe gefangen, und die sechzehnjährige Lilou hat das Gefühl, in dem abgeschiedenen Dorf zu versauern.
Der geheimnisvolle Feriengast
Besonders neugierig macht die Figur des Feriengastes Antoine Olivier, der kaum etwas von sich preisgibt. Seine Beweggründe für den Aufenthalt geben Camille Anlass zu Spekulationen. Dennoch verliebt sie sich in ihn, vertraut ihm ihre Sorgen und die Probleme mit ihrer Mutter an. Umso größer ist der Schmerz, als sie erfährt, warum er tatsächlich Urlaub auf der Plantage macht. Sie fühlt sich hintergangen und sieht ihre Hoffnungen wie ein Kartenhaus zusammenbrechen. Ob allerdings im wirklichen Leben ein Vermieter einem Feriengast nach nur wenigen Tagen sein Herz ausschüttet, bleibt fraglich.
Äpfel als Leitmotiv
Wie der Titel Der Duft von Apfeltarte* vermuten lässt, stehen Äpfel und ihre vielfältigen Verwendungen im Mittelpunkt des Romans. Der Leser erfährt, dass die für Cidre bestimmten Äpfel nicht gepflückt, sondern vom Boden aufgelesen werden. Da sie nachreifen, werden sie nicht sofort verarbeitet. Zudem gibt es verschiedene Formen von Cidre, abhängig von den Zusätzen. Dank Camilles Kochkünsten kommen zahlreiche Köstlichkeiten auf den Tisch, deren Rezepte die Autorin im Anhang verrät.
Fazit: Leichte Kost mit Überraschungen
Tiefsinniges darf man von Julie Leuzes Roman nicht erwarten. Doch er bietet gute Unterhaltung, überraschende Wendungen und vermag trübsinnige Gedanken zu vertreiben – ein leichter, aber stimmungsvoller Lesegenuss.
Der Duft von Apfeltarte von Julie Leuze

Goldmann Verlag 2019
Taschenbuch
336 Seiten
ISBN 978-3-442-48915-2