Jessicas Traum von Dörthe Binkert

Jessicas TraumDie in Zürich lebende Ann erhält eines Tages einen Anruf von Nick, dem Mann ihrer Freundin Jessica, die nach einem Suizid auf der Intensivstation im Koma liegt. Nicht zuletzt, um sich auch um deren 5-jährige Tochter Amy zu kümmern, reist Ann nach Wales, wo sie auf die vergangenen Jahre zurückblickt und darauf, wie mit „Jessicas Traum“ alles begann:

Während der gemeinsamen Studienzeit in London lernen die beiden Frauen in einem Pub Nick kennen, in den sich Jessica sofort verliebt. Ann, die in einer WG wohnt, bietet Jessica und Nick ein frei werdendes Zimmer an, das die beiden auch annehmen. Für Jessica folgt eine glückliche Zeit, denn nach der Scheidung ihrer Eltern ist sie bei ihrer Oma und ihrem Vater aufgewachsen, wo sie sich nicht willkommen fühlte. Nach Beendigung seines Studiums will sich Nick nur noch der Malerei widmen und mit Jessica aufs Land ziehen. In Nordwales finden die jungen Leute schließlich in Graig Ddu ein Cottage, das allerdings oben auf einem Berg liegt. Dort wollen sie fernab jeglicher Zivilisation ohne Strom und Handyempfang und ohne fließendes Wasser leben. Bei widrigen Wetterverhältnissen sind sie sogar von der Außenwelt abgeschnitten. Ein Auto können sie sich nicht leisten, das Geld reicht nur zum Überleben. Mit gerade zwanzig Jahren wird Jessica schwanger und heiratet Nick. Doch Ann findet, dass sie sich nach einem halben Jahr noch gar nicht gut genug kennen und ist von ihren Plänen nicht begeistert.

Bei einem späteren Besuch in Wales erkennt Ann ihre Freundin kaum wieder. Sie hat sich sehr verändert und Ann fragt sich, ob Jessica in der Einsamkeit und den harten Wintern wirklich glücklich ist. Nachdem sie wieder zurück nach Hause gefahren ist, erhält sie einen ersten beunruhigenden Anruf von Nick, der sich große Sorgen um Jessica macht. Nicht viel später folgt die Nachricht über den Suizid. Ann erkundigt sich bei Nick immer wieder nach dem Zustand ihrer Freundin, während sie voller Selbstzweifel ist und sich Vorwürfe macht, sich nicht mehr um Jessica gekümmert zu haben. Es gab durchaus Anzeichen, so stellt Ann im Nachhinein fest, die das Unglück angekündigt haben, wenn sie die nur richtig zu deuten gewusst hätte. Aber sie war mit sich und dem zufälligen Zusammentreffen einer Bekanntschaft aus Studienzeiten viel zu sehr beschäftigt. Als ihr Nick ein Tagebuch seiner Frau übergibt, ist Ann zunächst unschlüssig, ob sie ein Recht hat es zu lesen.

Dörthe Binkert beginnt ihren Roman „Jessicas Traum“ mit einem Besuch von Ann bei Jessica im Krankenhaus, wobei Ann als Ich-Erzählerin aus ihrer Sicht berichtet. Um einen klaren Blick auf die Entwicklung der Lebensumstände ihrer Freundin zu haben, hält sie ihre Erinnerungen schriftlich fest. Neben den Gedanken, die ihr zu Jessica einfallen, schreibt sie auch von ihrem Glück, das sie nach einem One-Night-Stand und ihrer Beziehung zu Ravi, von dem sie bitter enttäuscht wurde, endlich gefunden hat. Ihre Aufzeichnungen ergänzt Ann durch Briefe von Nick und Jessica.

Parallel dazu, wie Jessicas Traum in der Einsamkeit nach und nach zerplatzt, wird auch die Stimmung in dem Roman zunehmend düster. Von der ausgelassenen Heiterkeit aus Studientagen der beiden Frauen ist nichts mehr zu spüren. Auf den Leser wirkt die Atmosphäre immer niederdrückender, so wie es Ann unbehaglich beim Anblick ihrer Freundin wird, weil ihre aufmunternden Worte „einen falschen Klang in diese Umgebung“ bringen. Die Autorin hat sehr sensibel die Veränderungen eines Menschen nachgezeichnet, der wie Jessica kaum Zerstreuung hat und ein trostloses Dasein fristet. Der trotz aller Düsternis auch Hoffnung verbreitende Roman lebt von einer besonderen Stimmung und erzählt von einer veränderten Gefühlswelt, in die sich vornehmlich Frauen hineinversetzen können, die schon etwas Lebenserfahrung mitbringen.

Jessicas Traum von Dörthe Binkert

Jessicas Traum
dtv 2016
Broschur
250 Seiten
ISBN 978-3-423-26109-8

Bildquelle: dtv
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